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Geldverwaltung statt Vollstreckung von Ersatzfreiheitsstrafe
Warum werden so viele Menschen zur Verbüßung einer Ersatzfreiheitsstrafe inhaftiert, die Richterinnen und Richtern gar nicht mit einer Haftstrafe belegen wollten? Wenn eine Schuld so gering ist, dass sie mit einem Bußgeld abgegolten werden kann, widerspricht es der ursprünglichen Absicht des Urteils, wenn die Betroffenen später doch ins Gefängnis müssen. Eine Bewährungsstrafe wird damit übersprungen und so die Strafhierarchie in Frage gestellt.
In Niedersachsen werden ca. 450 Haftplätze regelmäßig durch Vollstreckung von Ersatzfreiheitsstrafen belegt. Dies geschieht, weil Verurteilte ihre Geldstrafe nicht bezahlen (können). Viele Menschen, vor allem mit geringem Einkommen, sind mit dem Abtrag der Geldstrafe finanziell überfordert.
Nach der Verurteilung folgen Aufforderungen zur Zahlung, bei Nichtzahlung Mahnungen und schließlich, wenn Verurteilte die Geldstrafe weiterhin nicht bezahlen, tritt in der Folge mit der Ladung zum Haftantritt ersatzweise die Haftstrafe ein. Zwei Tagessätze entsprechen dann einem Tag Freiheitsstrafe.
Um diese Entwicklung zu vermeiden, bieten die Anlaufstellen ein Programm zur Ratentilgung der Geldstrafen an. Die vereinbarten Beträge werden im Rahmen einer Geldverwaltung verlässlich an die jeweiligen Staatsanwaltschaften überwiesen und durch die Abwendung der Vollstreckung werden hohe Haftkosten reduziert.
Die Erfahrung zeigt: Wenn es gelingt, Betroffene in die Geldverwaltung durch die Anlaufstellen zu führen, ist die Prognose außerordentlich günstig. Über 90 % der Teilnehmenden schließen die Maßnahme erfolgreich ab! Das bewahrt Betroffene vor den negativen Auswirkungen einer Inhaftierung und trägt dazu bei, die gesamte soziale und finanzielle Lebenssituation von Betroffenen zu stabilisieren.
Verfahren in der Praxis
Das Angebot der Straffälligenhilfe in Niedersachsen kommt in letzter Minute - als bunter, auffälliger Flyer wird er mit der Ladung zum Haftantritt von der jeweils zuständigen Staatsanwaltschaft verschickt. Sie macht dabei ultimativ deutlich: Die unverzügliche Inanspruchnahme des Hilfeangebotes ist jetzt die allerletzte Chance, die Verbüßung der Ersatzfreiheitsstrafe noch abzuwenden.
Wer es versäumt hat, seine Geldstrafe zu bezahlen, sollte nach Erhalt der Ladung unbedingt schnellstmöglich selbst Kontakt zur regional zuständigen Anlaufstelle aufnehmen. Zu dem vereinbarten persönlichen Gesprächstermin müssen die Ladung zum Strafantritt, ein aktueller Einkommensnachweis und der Ausweis mitgebracht werden.
Wir prüfen die Finanzen und ermitteln eine Ratenhöhe, die Verurteilte auch bezahlen können. Diese wird individuell nach Einkommen und zu zahlender Geldstrafe berechnet und bei der zuständigen Staatsanwaltschaft beantragt. In der Regel soll eine Geldstrafe innerhalb von zwei Jahren getilgt sein.
Nach dem Kontakt leiten wir den Antrag schriftlich an die Staatsanwaltschaft. Die Rechtspflegerinnen und -pfleger stimmen den vorgeschlagenen Regelungen in einem sehr hohen Maße (> 90%!) zu.
Nach erfolgter Bewilligung wird die Bezahlung der Raten an die Anlaufstelle veranlasst. Bei Verurteilten, die Lohnersatzleistungen beziehen, wird dabei im Regelfall mit Teilabtretungen gearbeitet, durch die gewährleistet wird, dass der regelmäßige Ratenbetrag auf das Geldverwaltungskonto der Straffälligenhilfe überwiesen wird. So wird verhindert, dass die Betroffenen wegen ausgebliebener Zahlungen doch noch ins Gefängnis müssen. Die Anlaufstellen leiten die Zahlungen an die zuständige Staatsanwaltschaft weiter und begleiten den gesamten Tilgungsprozess.
Grundsätzlich können auch Verurteilte das Hilfeangebot in Anspruch nehmen, die sich in anderer Sache bereits in Strafhaft befinden. Häufig wird eine Ersatzfreiheitsstrafe direkt im Anschluss an die vollstreckte Freiheitsstrafe mitvollstreckt. Laut ministeriellem Erlass ist vorgesehen, dass die weitere Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe nach Bewilligung von Zahlungserleichterungen ausgesetzt werden soll.
Ergebnisse
Das Hilfeangebot zur Haftvermeidung ist flächendeckend und erfolgreich in Niedersachsen eingeführt. Jährlich werden etwa 30.000 Tagessätze getilgt, wodurch die Verbüßung einer Ersatzfreiheitsstrafe vermieden wird. Jeder Hafttag kostet im Justizhaushalt des Landes Niedersachsen 197,21 EUR (ohne Baukosten / Stand 2022), sodass sich ein beeindruckendes Potenzial von einzusparenden Haftkosten errechnet. Pro Jahr fließen zudem regelmäßig über 500.000 EUR an die Staatsanwaltschaften in Niedersachsen.
Bereits 2007 wurde das Projekt mit dem zweiten Platz für den Innovatio Sozialpreis für caritatives und diakonisches Handeln in Berlin ausgezeichnet.
Die Straffälligenhilfe im benachbarten Bundesland Bremen hat das Haftvermeidungsangebot 2012 übernommen - In der Bundeshauptstadt Berlin hat die SBH (Straffälligen- und Bewährungshilfe Berlin e.V.) ebenfalls in einem vergleichbaren Verfahren ein Modell zur Tilgung der Geldstrafen durch Ratenzahlungen eingeführt.